Litauen

In Litauen sind wir nach dem Besuch des Kurbads Druskininkai und der "alten Hauptstadt" Kaunas in den Nemunas-Delta-Regionalpark gefahren. Die Kurische Nehrung haben wir wegen des schlechten Wetters zunächst ausgelassen. Über das Symbol des litauischen Freiheitskampfs, den Berg der Kreuze bei Siauliai, sind wir am 21. Juni nach Lettland gereist.

 

Ab 24. August waren wir wieder zurück in Litauen. Wir besuchten den geografischen Mittelpunkt Europas und die Litauische Hauptstadt Vilnius – übrigens die einzige uns bekannte europäische Großstadt, die ganz ohne Fußgängerzone auskommt. Wir fuhren quer durch das Land zur Ostsee, radelten durch  Palanga und Klaipeda und setzten auf die Kurische Nehrung über – sie ist wahrlich einen Besuch wert.


Auf dem Weg zur polnischen Grenze

Die Gebäude an der litauisch-polnischen Grenze zwischen Kalvaria /LV und Szypliszki /PL sind noch nicht zurückgebaut. Es gibt sogar noch den Überwachungsturm im Gelände. Soweit wir sehen konnten, war er aber nicht besetzt; vielleicht nutzen sie ja Kameras zur Überwachung. Am 9. September sind wir nach insgesamt 28 Tagen und 2245 in LV gefahrenen Kilometern aus Litauen ausgereist. In den drei baltischen Staaten waren wir exakt drei Monate und sind 5387 km gefahren.

Solche Pferdewagen haben wir auf unserer Reise nur zweimal gesehen; die Technik beherrscht auch hier die Landwirtschaft. Wir fahren langsam von der Kurischen Nehrung entlang des Nemunas /Memel zur polnischen Grenze. Bei Jurbarkas machen wir wieder Station zum Radeln, Essen (geräucherte Rippchen) und Honig kaufen auf unserem Camping „Honigtal“. Dann geht es über die Industriestadt Marijampole auf der viel befahrenen Via Baltica zur polnischen Grenze.

Ein paar Schürzen voll Sand

Die Riesin Neringa lebte auf einer der Inseln und half den Fischern bei ihrem Fang, indem sie ihnen die Fische in die Netze trieb. Als der Meeresgott Stürme gegen das Land schickte, baten die Fischer Neringa um Hilfe. Sie nahm ein paar Schürzen voll Sand und verstreute ihn zwischen die Inseln. So wurde die Inselkette zur Nehrung verbunden und die Fischer waren im Haff vor den gefährlichen Ostseestürmen sicher. Soweit die Sage der schönen Neringa.

Neringa heißt auch der Zusammenschluss der vier Dörfer auf der Nehrung. Juodkrante im Norden ist der einzige Ort, der schon immer hier lag, weil der Wald gegen den Ostseewind schützte. Im Süden war der Wald gerodet, und die Dünen konnten wandern: Nida ist schon zweimal umgezogen, Preila und Pervalka wurden erst im 19. Jahrhundert gegründet, weil die Häuser von der Düne verschüttet wurden. Die Dünen der Nehrung wandern auch heute noch zwischen 0,5 und 15 Meter pro Jahr.

Auf der Parnidzio-Düne bei Nida

Wirklich ein Muss: Die Kurische Nehrung

Auf der Kurischen Nehrung kann man sich nicht verfahren, denn es gibt nur die Alte Poststraße, die von Smiltyne im Norden über Nida und die litauisch-russische Grenze bis nach Kaliningrad /Königsberg führt. Motorisierte Fahrzeuge werden nicht gerne gesehen, sie zahlen Eintritt in den Nationalpark. Fahrräder sind frei – und düsen auf dem bestens asphaltierten Radweg weitab der Autostraße. Der Tourismus floriert, was man auch an den schönen Ferienhäusern mit Klimaanlage sieht.  

„Onkel Toms Hütte“ steht auf einem Dünenhügel in Nida, mit herrlichem Blick auf den weißen Sandstrand, das Haff und das gegenüberliegende Festland. Thomas Mann hat in diesem Haus 1930 bis 1932 mit seiner Familie den Sommer verbracht und an seinem Wüstenroman „Joseph und seine Brüder“ gearbeitet. Heute ist in dem Haus ein kleines Museum untergebracht sowie eine Thomas-Mann-Forschungsstelle.

Einen einzigen originalen Kurenkahn haben wir in Nida gesehen. Das dunkle, schwere Holzboot hat nur drei Meter Tiefgang und ist daher ideal für das Segeln im flachen Haff. Stabilität erhält es über ein Auslegerschwert. Mehrmals am Tag läuft es aus, um den Touristen die hohen Dünen an der russischen Grenze und die toten Dünen etwas weiter im Norden zu zeigen. Um die schweren Segel hochzuziehen braucht es kräftige Arme. Gefahren wird aber meist mit Motor.

Ein bunter Wimpel zierte im 19. Jahrhundert jeden Kurenkahn. Um die Fischer besser kontrollieren zu können, musste jedes Boot mit einer Flagge in der Farbe seines Dorfes gekennzeichnet werden. Die Fischer nutzten die langen Winterabende, um diese Wimpel kunstvoll zu verändern: Sie schnitzten und malten Elche, Häuser, Bäume, Kirchtürme, Wasser, Dünen, Segel und vieles mehr auf die Wimpel aus Holz und Blech. Oben am Mast angebracht zeigten sie zudem die Windrichtung an.

Ganz ehrlich: Im Kurischen Haff baden möchten wir nicht. Zwar konnten wir lesen, dass keine Abwässer von den Dörfern auf der Nehrung im Haff landen. Klaipeda und sein Hafen verschmutzen das Haff aber immer noch. Größere Abwassermengen kommen auch aus dem Süden, wo die russischen Fabriken am Unterlauf der Nemunas / Memel noch nicht mit allzu viel Filtertechnik ausgestattet sind. Die grüne Farbe des Wassers kommt wohl von Algen? Der Geruch??

Klaipeda – das Tor nach Litauen

Verkehrsknotenpunkt, Handelsmetropole, Industriestadt, Kultur- und Wirtschaftszentrum – Klaipeda, die drittgrößte Stadt Litauens, schmückt sich mit vielen Attributen. Uns hat die freundliche, weltoffene Stadt angenehm überrascht: Überall Kunst und Skulpturen, eine enge Altstadt mit wirklich üblem, fahrradunfreundlichem Kopfsteinpflaster und eine moderne, großzügige Stadtlandschaft jenseits des Flusses Dane.

„Ännchen von Tharau“ ist durch ein vertontes Gedicht in unserer Erinnerung geblieben. Dem in Klaipeda geborenen Dichter und Professor an der Königsberger Universität, Simon Dach (1605-1659), ist ein Denkmal im Herzen der Altstadt gewidmet. Ännchen von Tharau, die Titelfigur seines berühmtesten Gedichts, das zum Lied geworden ist, ziert den Brunnen auf dem Theaterplatz. Im Theater dahinter hat schon Richard Wagner mit der Königsberger Oper gastiert.

Die Häfen öffnen das Tor zur Welt: Im beschaulichen Yachthafen sind die meisten Segelboote bereits winterfest vertaut. Im Industriehafen im Hintergrund dagegen wird noch heftig gearbeitet. Im großen Fährhafen landen die Schiffe mit Fracht und Urlaubern aus Kiel oder Karlshamn. Die „Alte Fähre“ befördert nur noch Personen und Fahrräder nach Smiltyne auf der Kurischen Nehrung. Das Kreuzfahrtschiffsterminal ist seit 2003 in Betrieb und empfängt die Gäste der ganz großen Pötte.

Die Sommerhauptstadt Litauens

Palanga ist einer der beliebtesten Bade- und Kurorte an der litauischen Ostseeküste. Wir radeln von unserem Camping in Karkle auf allerbesten Fahrradwegen durch Kiefernwald und einen Naturpark mit See nach Palanga. Dort erwartet uns das pralle Urlauberleben – Kinderbelustigung und Bernsteinschmuck-Stände, jede Menge Restaurants und eine breite Flaniermeile zum Strand und auf den Landungssteg, der fast 500 Meter ins Baltische Meer reicht.

Feine weiße Sandstrände locken Einheimische und Touristen ans Ostseeufer.  Der größte Teil des Strands ist penibel sauber und von Algen und Tang geräumt. Ein kleiner Teil ist naturbelassen – und das freut nicht nur die drei Damen, die in Badekleidung und im schicken Kostüm das herb duftende Gestrüpp an der Wasserkante durchstreifen. Sie sind auf der Suche nach Bernstein, der hier besonders nach stürmischem Wetter angespült wird und mit dem Tang oben schwimmt.

Der Birute-Park ist ein wunderschöner Landschaftspark im französischen Stil, mit kleinen Seen und Skulpturen, mit rund 500 unterschiedlichen Baum- und Straucharten, mit einem herrschaftlichen Palast in der Mitte und schön angelegten Blumengärten rundum. Der Palast des Grafen Tiskevicius beherbergt heute das Bernsteinmuseum von Palanga. Hier konnten wir die Tropfen des Kiefernharzes, die vor 60 Mio. Jahren auf die Erde gefallen sind, leuchten sehen – von sonnengelb bis dunkelbraun-schwarz.

Ein typisch litauisches Handelsstädtchen

Verkehrsgünstig an der Via Baltica gelegen, war Kedainiai bereits früh eine Handelsstadt. Wir schlendern durch die Altstadt, bewundern die renovierten Häuser aus dem 15. bis 19. Jahrhundert mit ihren Fassaden im Stil der Gotik, Renaissance, Barock und Klassizismus. Früher hatte Kedainiai sechs Marktplätze, vier davon sind bis heute erhalten, alle sind umsäumt von schönen Bürger- und Handelshäusern.

Wir haben ein Hausensemble entdeckt, das noch auf die Sanierung wartet. Damit die Gebäude nicht das schöne Stadtbild stören, sind wohl Künstlerinnen und Künstler aktiv geworden. Sie haben alle Fenster- und Türöffnungen der dreiteiligen Häuserzeile mit Farbe und dreidimensionalen Objekten gefüllt. Bunt und manche ganz schön schräg, vor mausgrauer Fassade. Wir waren begeistert von den einzelnen Objekten wie von der Wirkung der ganzen Fassaden.

Kedainiai war bekannt für seine religiöse und kulturelle Toleranz. Protestantische Deutsche, katholische Polen, schottische Calvinisten, Juden und Moslems lebten hier friedlich zusammen. Davon künden noch heute die unterschiedlichen christlichen Kirchen. Die beiden Synagogen dienen als Galerie und als Kunstschule. Von der Moschee steht nur noch das Minarett. Die St. Josephskirche, eine Stabkirche aus Holz mit einen separat stehenden Glockenturm, hat uns besonders gut gefallen.

 

Mittelalterliche Wasserburg und Karäersiedlung

Trakai ist so eine Art Nationalheiligtum der Litauer. Großfürst Gediminas verlegte 1316 die Hauptstadt und seine Fürstenresidenz nach Trakai, bevor er 1323 Vilnius gründete. Die gotische Inselburg aus rotem Backstein wurde 1655 von Kosaken zerstört; der Wiederaufbau startete bereits zur Sowjetzeit 1952. Sehenswert sind der große Hof (für Konzerte und Mittelalterspiele) mit den wieder aufgebauten Kasematten (früher Waffen- und Lebensmittellager, heute Museum) sowie die fünfstöckige Hauptburg (Palas) mit den Wohn- und Repräsentationsräumen der Großfürsten.

Großfürst Vytautas brachte im 1 4. Jahrhundert karäische Familien an den Hof in Trakai; sie waren geschickte Handwerker, weitgereiste Händler oder Gemüsebauern. Die Karäer sind eine jüdische Glaubensgemeinschaft, die nur das Alte Testament, nicht aber den Talmud anerkennen. Ihr Quartier in der Altstadt erkennt man an den bunt gestrichenen Holzhäusern, die alle mit dem Giebel zur Straße zeigen und drei Fenster aufweisen: je eins für den Hausherrn, den Fürsten und für Gott.

Eine bunte Mischung aus Anarchie und Idylle

Die freie Republik Uzupio wurde am 1. April 1997 gegründet. Nach der Unabhängigkeit Litauens waren Studenten der Kunstakademie, Musiker, Schauspieler und andere Künstler in das zur Sowjetzeit stark heruntergekommene Quartier gezogen. Regierungssitz ist die Uzupio Kavine, eine nette Kneipe an der Vilnia. Die freie Republik hat einen Präsidenten, einen Bischof, eine Armee, einen eigenen Botschafter in Moskau, eigene Briefmarken, eine Zeitung, eine eigene Nationalhymne.

Das Staatssymbol der Republik Uzupio ist ein Engel mit Posaune, welche auch andere Assoziationen wecken kann. Ein zweites Symbol ist das „Fräulein von Uzupio“, die als Bronze-Nixe am Flussufer die Gäste im Garten der Kavine beobachtet. Insgesamt präsentiert sich Uzupio an vielen Stellen herausgeputzt mit schönen Hinterhöfen und malerischen Gassen, renovierten Fassaden und jeder Menge Kunst auf der Straße, in den zahlreichen Galerien und Höfen.

Die freie Republik Uzupio hat auch einen Schutzpatron: Frank Zappa, der Rockstar, der 1993 an Krebs starb. Ihm zu Ehren ist an anderer Stelle in Vilnius ein Frank-Zappa-Memorial von Graffiti-Künstlern gestaltet worden. Leider hat es bei unserem Besuch in Strömen geregnet, sodass die Wandbilder und die Büste hinter den Tropfen fast verschwinden. Berühmte Ehrenbürger hat Uzopio auch; bei seinem Besuch 2001 erhielt der Dalai Lama die Ehrenbürgerschaft.

Barocke Kirchen, gotische Häuser und überall Autos

Es gibt kaum einen Ort in Vilnius, von dem aus man nicht mindestens zwei Kirchtürme sieht. Die Litauische Hauptstadt war immer schon ein Schmelztiegel für Menschen verschiedener Nationen und unterschiedlicher Religionen – eine echte Stadt des Handels. In der UNESCO-geschützten Altstadt flanieren wir über Pflastersteine und weichen immer wieder mal einem Auto aus. Vilnius ist die einzige Stadt, die wir kennen, die ohne Fußgängerzone auskommt.

Die meisten Kirchen in Vilnius sind heute barockisiert, mit großen Statuen, Putten und Engeln, mit Marmoroptik und ganz viel Blattgold. Das ukrainische Gotteshaus wartet noch auf Spender für die grundlegende Renovierung. Besonders angetan waren wir von der barocken russisch-orthodoxen Heilig-Geist-Kirche, die statt der oft üblichen Gold-Überladung ganz grün daher kam. Im Vordergrund ruhen drei orthodoxe Märtyrer, zum Glück mit einer prunkvollen Decke bedeckt.

Mit ihren ineinander verschachtelten 13 Gebäuden und 12 Innenhöfen zählt die Universität zu den bemerkenswertesten Architekturkomplexen von Vilnius. Die 1569 als Jesuitenkolleg gegründete Hochschule zählt zudem zu den ältesten Unis in Osteuropa. Die Buchhandlung Littera verzaubert uns mit Deckengemälden aus dem 20. Jahrhundert ebenso wie die Fresken in der Eingangshalle der Linguistischen Fakultät.

Es wird Herbst im Baltikum, das merken wir auch in der Markthalle. Jetzt kommen die Kürbisse und Haselnüsse, die vielen Sorten Waldpilze, Brombeeren, Preiselbeeren und wieder Erdbeeren auf die Tische der Marktfrauen. Am Waldrand sehen wir oft Autos stehen, daneben Männer oder Frauen, die sich Gummistiefel anziehen. Wenn sie die Stiefel wieder ausziehen, steht meist ein großer Eimer mit Pilzen daneben. Die werden flugs sortiert und am Straßenrand verkauft.

Der Fernsehturm mit seinen 326,5 Metern ist höher als der höchste Berg des Baltikums. In die Schlagzeilen kam er am 13. Januar 1991, als sowjetische Spezialtruppen mit Panzern den Turm stürmten und dabei elf Menschen erschossen oder überrollten, weitere 1782 Personen wurden verletzt. Sie hatten als menschliche Schutzschilde versucht, die Besetzung des Fernsehturms und der Radiostudios zu verhindern. Das Quartier hinter dem Fernsehturm heißt Erfurt, zur Erinnerung an die Unterstützung der deutschen Partnerstadt in dieser schwierigen Zeit.

Das Herz Europas

Geografen des französischen Geografie-Instituts haben 1989 den Flächenschwerpunkt des europäischen Kontinents ermittelt. Im Schnittpunkt der Linien zwischen Gibraltar und dem Ural sowie dem Nordkap und Kreta liegt das Herz Europas: Mitten in der litauischen Provinz, bei Purnuškės, 26 Kilometer nördlich von Vilnius. Die Koordinaten 54° 54′ 0″ N, 25° 19′ 0″ O stehen auf einem Granitbrocken, die besternte Säule nebst den europäischen Flaggen gleich daneben.

Wieder zurück in Litauen

Litauen begrüßt uns mit einer Baustelle und ampelgesteuertem Fahren auf einer Fahrspur. Von Grenzanlagen ist weit und breit nichts zu sehen. Es sieht so aus, als seien am Grenzübergang zwischen Medumi / LV und Zarasai / LT nie Gebäude gestanden. Lettland hat uns nicht mit einem Grenzschild verabschiedet. Auf litauischer Seite steht das bekannte Schild mit dem Sternenkranz und gleich dahinter die obligatorischen Verkehrsinformationen, wie an jeder Staatsgrenze.

<<< Hier geht's weiter von Lettland, oben.

>>> bitte weiterlesen in Lettland, Textende.

Der Berg der Kreuze

Sa, 21.Juni. Ein Meer von Kreuzen, aus Stein, Metall und Holz, riesige  und winzig kleine, neben- und übereinander gestapelt, teils mit Bildern und Rosenkränzen behängt: Kryziu Kalnas/ Berg der Kreuze nahe Siauliai ist ein Ort des Gedenkens. Seit rund 150 Jahren werden hier Kreuze aufgestellt, im Zweiten Weltkrieg kamen zahlreiche dazu, noch mehr als Erinnerung an die Litauer, die auf Befehl Stalins nach Sibirien deportiert wurden.

Die Moskauer Obrigkeit ließ den Berg der Kreuze 1961 und 1975 platt walzen. Kurz danach waren die Kreuze wieder aufgerichtet und neue kamen hinzu. Der Kreuzhügel wurde zum Symbol für den wieder erstarkten Glauben, den Widerstand gegen das Sowjetregime und für die Unabhängigkeit des Landes. Wir haben zur Erinnerung an unseren Freund Uli ein Kreuz dazugestellt. Ruhe in Frieden.

Leckeres und Deftiges aus der litauischen Küche

Mistwetter bei Klaipeda

Es ist wieder lausig kalt, regnerisch und keine Besserung in Sicht. In Höhe von Klaipeda entscheiden wir, nicht auf die Kurische Nehrung zu fahren, sondern ins Hinterland – zum Berg der Kreuze bei Siauliai und dann weiter nach Lettland.

Hier wurden Millionen Ringe verteilt

Die Landzunge, an deren Ende Vente liegt, gehört noch zum Nemunas-Delta-Regionalpark. Mit dem Boot wären es keine 10 km von unserem gestrigen Übernachtungsplatz, mit dem Auto sind wir rund 50 km rund um das Delta hierher gefahren. Die Vogelwarte wirkt mit an einem UNESCO-Projekt zur Erforschung des Vogelzugs. In den Netzen werden Vögel gefangen, mit einem Ring gekennzeichnet und wieder in die Freiheit entlassen. Hier beringte Vögel wurden in Ägypten, Iran und Südafrika gesichtet. Im Frühjahr und Herbst rasten hier riesige Vogelschwärme und stärken sich für den Weiterflug. Dieses Schauspiel muss grandios sein; vielleicht kommen wir auf der Rückreise wieder vorbei.

Impressionen aus dem Nemunas-/ Memel-Delta

Ein Paradies für Fische und Vögel

Den Weißkopf-Adler haben wir im Nemunas-Delta-Regionalpark gesehen. Das Naturschutzgebiet mit seinen Feuchtzonen und Feldern ist ein Vogelparadies. Hier gibt es viele Sumpf- und Wasservögel, Weißstörche und (wenige) Schwarzstörche – und auch Adler. Bei Rusne teilt sich der Nemunas und umfließt eine Insel. Sie liegt nur rund einen Meter über dem Ostsee-Niveau, sodass es fast jedes Frühjahr zu Überflutungen kommt – ideale Bedingungen für Wassertiere und Fische und ein reich gedeckter Tisch für die Vögel. Wir stehen eine Nacht frei in diesem Naturparadies.

Endlich Sonne und Zeit zum Radeln

Am 16. Juni 2014, dem Tag des Spiels Deutschland-Portugal (4:0 – klasse!!!) scheint endlich wieder die Sonne und lockt zur Radtour. Die Radel-Infrastruktur ist Bestens: Ein sauberes Asphaltband (in unübersichtlichen Kurven mit Mittelstreifen!) führt durch Wald und Wiesen, die Randstreifen wurden wohl zwei Tage zuvor gemäht, und alle paar hundert Meter eine Bank, immer mit Abfalleimer und schönem Blick über die Memel. Wir bleiben ein paar Tage auf dem Honigtal-Camping bei Jurbarkas an der Memel/Nemurnas – fast allein auf dem riesigen Wiesengelände. Die Ruhe wird nur vom Vogelzwitschern unterbrochen (und später vom Sitzrasenmäher der Platzpfleger).

Traditionelle Gebäude aus ganz Litauen

Für den Besuch des Freilichtmuseums in Rumsiskes sind wir wieder gen Osten gefahren, ans Kaunasser Meer. Auf 176 Hektar sind hier 140 (überwiegend Holz-) Bauwerke zu sehen, unterteilt nach den vier ethnografischen Regionen Litauens – vom Gutshof mit großem Bauernhaus, Viehställen, Scheune mit Dreschboden und Banja/ Sauna über die kleine, beengte Handwerker-Kate bis zur Zwergschule mit Wohnung und Werkstatt des Lehrers. Dazu kommen Gärten und Felder, Windmühlen und Kirchen, eine Schlitten- und Kutschenausstellung.

Die Gebäude des Freilichtmuseums sind voll eingerichtet, mit Tisch und Betten in der großen Stube, mit Bänken entlang der Außenwände als Schlafplätze für Knechte, Mägde oder Gäste. Oft steht der Ofen im Zentrum, mit gemauertem Kamin oder offenem Auslass, in dem der Schinken zum Trocknen hängt. Bemerkenswert fanden wir die Handmühle: Zwei 60 cm breite Mühlsteine, der untere fest, der obere mit Holzstange zum Drehen, die zwar das Mehlmalen sehr erleichterte; trotzdem ahnt man die ungeheure Plackerei.

Ein Krämermarkt der Superlative

Der Zentralmarkt von Kaunas verdient seinen Namen: Auf 15.000 Quadratmetern bieten 1500 Händler ihre unterschiedlichen Waren an – vom Smoking für den eleganten Herrn bis zum Kinderspielzeug, von den dringend nötigen Schuhen und Handtaschen bis zu den unvermeidlichen Blumen und Lebensmitteln aller Art, von der Waschmaschine über Tapeten und Gardinen bis zur Autofelge. Den Markt Urmas können wir zum Bummeln und shoppen nur empfehlen.

Gleich nebenan steht ein Palast des Mammons: ein Bürohochhaus mit 2070 einzeln in den Niederlanden gefertigten Glasfenstern. Alle zusammen puzzeln ein Bild der 1000-Litas-Banknote, die von 1924 bis 1941 gültige Währung war, an einer Hausfassade mit 2841 Quadratmetern Fläche, gut 88 Meter breit und knapp 32 Meter hoch. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der schwedischen Bank SEB und weiterer Unternehmen arbeiten in dem einzigartigen Gebäude neben dem Urmas-Markt.

Im 19. Jahrhundert war die Vytautas-Brücke die längste Brücke der Welt. Denn es dauerte 13 Tage, um von der Kaunaser Altstadt zur anderen Seite des Nemunas/Memel nach Aleksotas zu gelangen. Nicht in Wirklichkeit, aber nach dem Kalender: Hüben galt noch der julianische Kalender, drüben bereits der gregorianische Kalender. Die Gründe für die Kalenderreform waren zum einen der im Vergleich zum Sonnenjahr zu lange julianische Kalenderjahr, zum anderen die falsche Datierung des christlichen Osterfestes.

In der alten litauischen Hauptstadt

Was von außen eher wie eine Kirche wirkt, ist das ehemalige Rathaus von Kaunas. Erbaut wurde es als Markthalle mit Gerichtssaal; später war es Kirche, Waffenlager, provisorische Zarenresidenz, Theater, Rathaus bis 1949, seit 1973 „Hochzeitspalast“. Auch heute noch kann man hier heiraten, denn es beherbergt das Standesamt. Im Volksmund heißt das Gebäude mit dem eleganten Turm „weißer Schwan“.

Die Laisves Aleja (Freiheitsallee) war die erste Fußgängerzone Litauens: Seit 1982 ist die Straße für Autos gesperrt. Hier lässt es sich schön flanieren, in Straßencafés sitzen, auf einer Bank unter Lindenbäumen ausruhen, elegant gekleidete Leute beobachten. Der russische Zar ließ die Allee anlegen; sie endet nach rund 1,7 km an der russisch-orthodoxen Erzengel-Michael-Kathedrale. Das Bild zeigt nur die Hälfte der Straßenbreite.

Kaunas ist eine Stadt der Gegensätze. Hier schön renovierte Villen, dort bröckelnde Balkone und verfallende Industriekomplexe, hier dicke Autos aller Nobelmarken, aber weit und breit keine Garage. Insgesamt wirkt alles etwas trister als in den polnischen Metropolen. Zwar wird fleißig gebaut, saniert, ausgebessert, aber es bleibt noch sehr viel zu tun.

Blumen gehören zum Stadtbild. Viele Verkaufsstände zeigen eine verschwenderische Fülle an Blumensorten und Farben. Überall im Straßenraum hängen Blumenampeln, stehen Pflanzkübel, sind Blumenbeete angelegt. Wir haben uns immer gefragt, wie sie mit Wasser versorgt werden. Jetzt wissen wir es.

Einzigartig in der Welt ist das Teufelsmuseum. Fast 3000 Teufelsfiguren und Teufelsmasken aus allen Kontinenten haben wir hier bestaunt - vom teuflischen Speier auf einem Kirchendach bis zu Voodoo-Figuren aus Mittel- und Südamerika, von Krampen- und Fastnachtsmasken aus den Alpenländern bis zum ostasiatischen Teeservice mit satanischem Dekor.

Auf dem Weg nach Kaunas

Vom Burgberg Margis, einem der höchsten Burgberge in Litauen, genießen wie die Aussicht auf den Nemunas/Memel. Ringsum nur Wald, soweit das Auge reicht. Zur Zeit der Kreuzritter soll hier die sagenumwobene Burg Pilenai gestanden haben. Später baute man ein Schloss auf den Hügel, von dem aber auch nichts mehr übrig ist.

Ein heilsames Badestädtchen

Bis ins 18. Jahrhundert war Druskininkai ein gewöhnliches litauisches Dorf. Nach Untersuchung des Quellwassers genehmigte der russische Zar Nikolaus I. die Errichtung des Heilbads Druskininkai. Behandlungen mit Heilwassern, Moorbädern und Stutenmilch standen in der Blütezeit im 19./Anfang 20.Jahrhundert im Mittelpunkt. Manche Kurklinik von damals erstrahlt heute wieder in neuem Glanz.

Heute bietet der Kurort Heilung und Erholung auf internationalem Niveau. Neben den Mineralquellen und dem Heilschlamm ist die saubere Luft ein Qualitätsfaktor: Wegen der Kiefernwälder und der vielen Flüsse und Seen in der Umgebung, ist die Luft in Druskininkai sehr sauber und unbelastet von Industrieabgasen und Staub – mindestens so heilsam wie im schweizerischen Davos.

Wir lauschen dem Rauschen des Kiefernwalds und dem Zwitschern der Vögel, radeln auf dem bestens präparierten Untergrund. Nur hier und da bohrt sich eine Baumwurzel durch den Asphalt. Am Wegrand ein Bach, ein See mit Badeplätzen, Picknickhütten überall verteilt, die Feuerstellen durch eine hohe Steinmauer gut gesichert. Für alle, die im Herbst hier sind: Der breite Teppich der Blaubeerbüsche verspricht eine üppige Ernte.

Im Grutas-Park lassen wir uns zurück versetzen in die Zeit der sowjetischen Besatzung: Hier sind alle möglichen sowjetischen Denkmäler versammelt, die nach der Unabhängigkeit 1991 an verschiedenen Orten in Litauen demontiert wurden. Engels, Marx und Lenin neben Mickevicius-Kapsukas und Stalin. Dazu einige Monumentalstatuen, viele voluminöse Büsten und großflächige Reliefs.

Gleich an Eingang zum Skulpturenpark steht einer jener Viehwaggons, in denen in den 1940er-Jahren 300.000 Litauerinnen und Litauer nach Sibirien verschleppt wurden. Zusammen getragen wurden die Statuen durch einen litauischen Geschäftsmann, der aus familiärer Betroffenheit das „Erbe“ der Sowjetbesatzung der Nachwelt erhalten will.

Eine neue Reise