Abschied von den Westfjorden

19.7. Holmavik am Steingrims-Fjord ist unsere letzte Übernachtungsstation in den Westfjorden. Das Handels- und Dienstleistungszentrum mit seinen 564 EinwohnerInnen ist Verwaltungszentrum der Region. Geruhsam geht es am Hafen zu; der Blick schweift zur weißen Holzkirche auf den Hügel (leider geschlossen) und den alten Lagerhallen. In den ältesten Gebäuden am Hafen hat das Museum für Hexerei und Aberglaube sein Domizil. Zauberei gehörte zur nordischen Asen-Religion; in den abgelegenen Westfjorden hielt sich der Glaube an Hexerei länger als in anderen Teilen Islands.

 

Ende der Welt – wieder mal

Gesucht hatten wir eines der einsamsten Schwimmbäder Islands, am Ende der befahrbaren Piste im Nordosten der Strandir-Halbinsel. Gefunden haben wir ein trotz wechselhaftem Wetter sehr gut besuchtes Thermalbad mit Hot Pot – Krossneslaug. Die Lage ist einzigartig und besonders schön: wenige Meter oberhalb des grauen Kiesstrands, auf dem sich ein paar Treibholzstämme türmen, mit direktem Blick aus der 38-Grad-Sole über den Beckenrand auf das kalte Nordmeer. Grönland ist nur rund 300 km entfernt.

 

Eine ehemalige Fischverarbeitungshochburg

In den 1930er Jahren entstand in Djupavik eine der modernsten Fischfabriken Europas; nachdem die Heringsschwärme ausblieben, wurde sie bereits 1954 wieder geschlossen. Allein das Hauptgebäude misst 6000 qm, in den runden Betontanks wurden bis zu 5600 t Lebertran gelagert. Rund 50 Leute arbeiteten ständig in der Fabrik, dazu kamen rund 200 SaisonarbeiterInnen. Das Wohnheim der Arbeiterinnen wurde zum (heute gut gebuchten) Hotel umgebaut, die Unterkunft der Saisonarbeiter „MS Sudurland“ rostet seitdem munter vor sich hin. Das Museum in der Fischfabrik war zu.

 

Die einsame Strandir-Küste

Ab Drangsnes liegen nun 100 km Piste entlang der Ostküste der Westfjorde vor uns. So übel, wie in unseren Reiseführern beschrieben, ist die Straße aber nicht. Sonst könnte auch der Auflieger-Kühl-LKW nicht so schnell durch die einsame Gegend rumpeln. Die Berge sind schroffer als im Westen, Steinschlag-Haufen wurden erst kürzlich weggeräumt. Viele Höfe sind verlassen, die Gebäude verfallen, weil der schmale Streifen mit Grasbewuchs zwischen Meeresbrandung und Steilhang die Menschen nicht mehr ernährt.

 

Jetzt rollen die Wellen gemächlich an den Strand, was offensichtlich nicht immer so ist. Am grauen Kiesstrand türmen sich die Baumstämme – Treibholz, das aus Sibirien an die Küste gespült wird. Ein wertvolles Gut, denn im waldarmen Island war das Holz als Baumaterial begehrt. Noch heute werden die Kiefern- und Lärchenstämme an den Strand gezogen, mehrere Jahre getrocknet und meist als Bauholz genutzt. Die Stämme gehören dem jeweiligen Grundbesitzer, an dessen Ufer sie an Land gespült werden; Treibholzsammeln wird als Diebstahl verfolgt.

 

Hot Pots am Wegrand: Drangsnes + Laugarhöll

Entlang des Isafjardardjup

Der Isafjardardjup trennt quasi die westlichen Fjorde von der großen, wenig zugänglichen Strandir-Halbinsel; seine zahlreichen Seitenarme sind meist unbewohnt. Die Fjordküste wird jetzt lieblicher, die Berge weniger schroff, auf der Sandbank schlafen die Robben. Die Straße führt entlang der Wasserkante, fast jeder Fjord wird ausgefahren. Kilometerfressen auf bestens ausgebauter Straße. Am Ende des Namen gebenden Isafjördur geht’s nach knapp 200 km wieder rauf, auf die Steingrimsfjardarheidi, eine karge Hochebene mit zahlreichen Seen, viel Moos und etwas Gras für die wenigen Schafe.

 

Isafjördur, das Zentrum der Westfjorde

Entlang der Küste und übern Berg

Mit fast jedem Kilometer präsentieren sich die Westfjorde anders: Im Süden und Westen führt die Straße ein Stück entlang der Wasserkante, dann  geht es teilweise steil hinauf auf die Hügel und im nächsten Fjord wieder hinunter auf Meereshöhe. Viele Straßen sind bestens asphaltiert; nur entlang des Patreksfjördur zum Bjargtangar sowie entlang des Amarfjördur und über die Hochebene nach Pingeyri sind wir im stetigen Wechsel über gut präparierte Pisten und auch Waschbrett mit tiefen Löchern gefahren. Die Aussicht aber ist immer grandios, wenn das Wetter mitmacht.

 

In den westlichen Fjorden gibt es wenige, kleine Siedlungen, dazwischen ein paar Bauernhöfe, in denen gerade die zweite Heuernte des Jahres eingebracht wird. Gewundert haben wir uns über die feinsandigen Dünen und die goldschimmernden Sandstrände; anderswo ist der Meeressaum schwarz-grau von den Vulkaneruptionen und der ausgeschleuderten Asche. Die schroffe Landschaft, das Spiel von Sonne, Licht und Farben, mit Nebelschwaden und tiefen Wolken überm Tafelberg, ziehen uns in ihren Bann.

 

Die Fjorde greifen tief ins Land. Auf dem Wasser sehen wir vereinzelt die runden Netze zur Fischzucht. Wobei die Züchter arbeitsteilig vorgehen: In einem Fjord werden die winzigen Lachse bis zu einer bestimmten Größe aufgezogen; im nächsten, tieferen Meeresarm wachsen sie bis zum Schlachttermin. An Land werden die Zuchtfische, aber auch anderes Süßwasser- und Meeresgetier filetiert, geräuchert, gesalzen, eingelegt, vergraben … Wir haben die leckeren Garnelen und den frisch geräucherten Arktischen Saibling sehr genossen.

 

Der schönste Wasserfall der Westfjorde

Dynjandi (der Donnernde) heißt ein ganzes Wasserfallsystem, das 186 m über verschiedene Terrassen den Hang hinunter stürzt. Der oberste Fall (Fjallfoss) fächert sich auf von 30 m Breite an der Basaltkante bis 60 m Breite an Ende der ersten Kaskaden 100 m tiefer. Dann folgen Hundafoss und Strokkur, Göngumannafoss, Hrisvardsfoss und Bjarfoss, die teils mit mächtigem Radau und enormen Wassermassen zu Tal donnern, teils gemächlich in sanften Kurven durch die Wiesen plätschern. Für uns zählt der Dynjandi zu den schönsten Fällen, die wir bisher gesehen haben.

 

Endlich wieder fotogene Lundis

Im Westen Europas oder in Amerika?

Bjargtangar, Vestur-Barðastrandarsýsla, markiert den westlichsten Punkt Islands und damit auch ganz Europas (65° 30 N, 24° 32 W). Der westlichste Hof ist Hvallátur, Vestur-Barðastrandarsýsla (65° 32 N, 24° 28 W), die westlichste Ortschaft heißt Patreksfjörður, Vestur-Barðastrandarsýsla, (65° 35 N, 23° 59 W). Plattentektonisch betrachtet liegt das Ende Europas allerdings auf dem Grabenbruch, der sich quer durch Island zieht: Der westlichste Punkt Europas liegt irgendwo im Landesinneren, wo europäische und amerikanische Platte aneinandergrenzen.

 

Wir fühlen uns trotzdem ganz im Westen Europas und besuchen den Leuchtturm am Kap Bjargtangar – und spazieren ein Stück auf der Felswand Latrabjarg, die auf 14 km Länge bis zu 441 m hoch fast senkrecht aufragt. Wieder sind wir im Vogelparadies: Hier nistet die weltgrößte Tordalken-Kolonie, Papageientaucher haben ihre Bruthöhlen unter die Grasnarbe gegraben, Möwen füttern ihre Küken. Wir sehen auch Lummen und Eissturmvögel und genießen die grandiose Aussicht auf die Tafelberge, die sich entlang der Fjordküste aus dem Dunst erheben.

 

Fast wie Zwillinge

In den Westfjorden haben wir fast einen Zwilling getroffen: den ersten Autark Runner, den Woelcke in die Niederlande verkauft hat. Er ist ein wenig kürzer als unsrer, hat einen geringfügig anderen Grundriss, ist nur ein Jahr älter – und nach der Fahrt über den unbefestigten Teil der Straße 60 fast genauso dreckig wie unserer, was aber kaum zu sehen ist wegen der dezenteren Lackfarbe. Wir sind den sehr netten Holländern mehrmals begegnet, haben im Regen vor den Fahrzeugen getratscht, Reiseeindrücke und Routen besprochen sowie Erfahrungen mit den Mobilen ausgetauscht.

 

In Salz oder Seetang baden

13.7. In den Feuchtwiesen rund um Reykholar brüten allerlei Vögel, die uns mit ihrem Gezwitscher in den Schlaf singen; frühe Wanderer werden eher mit Gezeter begrüßt. Zum Vogelparadies zählen auch Eiderenten, deren zarte Flaumfedern Kopfkissen und Bettdecken füllten - früher ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Heute bieten eher die Fabrik, die Seetang (vorwiegend Braunalgen) trocknet und verarbeitet, Arbeitsplätze oder das Werk, in dem aus Meerwasser Salz gewonnen wird. Beide liegen am Meer neben dem kleinen Hafen; sie arbeiten umweltfreundlich mit Geothermalenergie.

 

Eine neue Reise