An der öffentlichen Teppichwaschanlage

Erholsame Tage in Tammisaari

10.-11.9. Wir gönnen uns eine kleine Auszeit in Tammisaari an der Schärenküste, das die überwiegend schwedisch-sprechende Bevölkerung Ekenäs nennt. Bruno radelt durch Stadt und Land, Beate kuriert ihre Erkältung aus – auch dank Brunos wohlschmeckender, frisch gekochter Hühnersuppe mit Wurzelgemüse. Der beliebte Badeort mit südländischem Charme bietet jede Menge Bootsanleger für Segel- und Motorboote, sehenswerte Holzhäuser aus dem 19. Jahrhundert, die Stadtkirche und das von Alvar Aalto entworfene Sparkassengebäude.

 

Alte Industriekultur und neues Kunsthandwerk

Gesucht hatten wir in Fiskars noch einmal eine historische Industrieanlage, doch weder die alten Eisenfabriken noch die Arbeitersiedlung aus dem 17. Jahrhundert sind erhalten geblieben. Die guten Gartenwerkzeuge und Messer/Äxte/Beile werden heute anderswo hergestellt. An den Ufern des Fiskars-Flusses finden wir Kunst und Kunsthandwerk, Designerware der üblichen Marken, wie wir sie schon oft gesehen haben. Im Sommer gibt es wohl Animationsprogramme für Kinder; jetzt können wir nur durch den Park spazieren und die nette Beschilderung bewundern.

 

Die Gletschermühlen von Askola

9.9. Wir besuchen Hiidenkirnu, „des Teufels Butterfass“ – mehr als 20 Gletschermühlen, die uns die letzte Eiszeit beschert hat. Als vor rund 10.000 Jahren die Gletscher schmolzen, schuf das abfließende Schmelzwasser Riesentöpfe, indem es Schutt und Steine am Grund des Flussbetts in kreisförmige Bewegung versetzte. Die größte Gletschermühle, die „Sitzwanne des Riesen“, ist 10,3 m tief und 4,2 m breit; andere Riesentöpfe tragen Namen wie Nest eines Kobolds, Berggeist, Birne, Geldbeutel, Sessel, Kiste, etc., zwei sind nach den Professoren Okko und Asai benannt, die die Gegend untersucht und zugänglich gemacht haben.

 

Finnische Eigenheiten

In Finnland gibt es mehrere gleichberechtigte Sprachen – im Süden Finnisch + Schwedisch, im Norden Finnisch + Samisch. Finnland-Kenner Berthold Brecht hat mal geschrieben: „Die Finnen schweigen in zwei Sprachen.“ Das mag früher so gewesen sein, doch dann kam Nokia und hat die Finnen zum Schwätzen gebracht. Und weil die meisten Filme nicht synchronisiert werden, sondern als Originale mit finnischen Untertiteln laufen, sprechen viele Finnen sehr gut Englisch. Inzwischen schweigen manche auch wieder – und daddeln lieber am Smartphone.

 

Finnen sind leidenschaftliche SpielerInnen, so scheint es uns. In jedem Supermarkt, an jeder Tankstelle stehen Geldspielautomaten – und meist spielende Menschen davor. Besonders übel aufgefallen ist uns, dass Lidl (gibt es überall in Süd- und Mittelfinnland) die Spielsucht auch noch am Pfandautomaten fördert: Hier gibt es nach Einwurf der Pfandflaschen und –dosen zwei Knöpfe, um den Pfandbon zu erhalten. Beate hat mal den falschen gedrückt – und schon war sie im Spiel um den 100.000-Euro-Gewinn; raus kam sie nicht mehr, sie konnte nur wählen zwischen halbem und ganzem Einsatz des Pfandgeldes.

 

Vor jeder Haustüre – egal ob Wohnhaus oder Bahnhof, Supermarkt, Fabrik oder Schule – steht ein „Schuhputzgerät“. Meist besteht es aus drei groben, strapazierfähigen Borstenbesen, durch die sich leicht ein Schuh oder Stiefel streifen lässt. Wir vermuten, die drei Besen sind für die kalte Jahreszeit montiert. Sie lassen den Matsch vor der Tür, putzen den Schnee vom Stiefel, vermeiden Dreck und Nässe im Haus. In die Wohnung gehen Finnen ohnehin nur auf Strümpfen, haben wir im Reiseführer gelesen. Die Schuhe bleiben vor der Wohnung oder im Flur stehen.

 

Hügel rauf + runter, Disco-Golf, Paddeln

Porvoo, die zweitälteste Stadt

8.9. Porvoo war bereits im Mittelalter ein geschäftiges Handelszentrum, mit sicherem Naturhafen an der Porvoonjoki-Mündung. Die roten Lagerhäuser am Fluss wurden nach dem großen Brand von 1760 gebaut; sie sind verwinkelt angelegt, damit möglichst viele Händler einen Zugang zum Ufer hatten und ihre Kolonialwaren dort lagern konnten. Über der Stadt erhebt sich der gotische Mariendom mit seinem markanten Backsteingiebel und dem separaten Glockenturm; die Kirche ist mehrfach abgebrannt, zuletzt 2006 durch Brandstiftung eines betrunkenen jungen Mannes.

 

Im Dom, im Rathaus und im Porvooer Gymnasium wurde 1809 die rund 600-jährige Bindung Finnlands an Schweden beendet: Die Sitzungen des „Lantdags“ von Porvoo wurden im Dom eröffnet und beendet; im Rathaus versammelten sich Adel und Bürgerliche, in der Schule der Klerus. Hier hielt Zar Alexander I seine Eröffnungsrede vor dem Parlament und versprach dabei die Unantastbarkeit der finnischen Verfassung und Religion. Das finnische Volk wurde zur Nation erhoben und das Großfürstentum erhielt einen autonomen Status in der „Familie der Nationen“. Am Abend trafen sich die Parlamentarier im Obergeschoss des Gymnasiums zur Parlamentstanzveranstaltung.

 

Das gelbe Steinhaus mit dem Schriftzug „Simolin“ ist das älteste Warenhaus Finnlands, das immer noch in Betrieb ist – seit 1854. Leicht hinzukommen ist allerdings nicht, denn die Altstadtgassen sind mit Flusssteinen gepflastert, die Wege führen hügelauf und hügelab, vorbei an bunten Steinhäusern; nur oberhalb des Doms haben die alten Holzhausensembles mit ihren schönen Innenhöfen die Stadtbrände überlebt. Das große Lagerhaus aus roten Ziegelsteinen im Vordergrund rechts gehörte auch zum Simolin-Imperium; heute haben beide Gebäude neue Besitzer.

 

Der alte Bahnhof von Porvoo ist nur noch im Sommer in Betrieb, wenn die Museumszüge die Touristen durch die Gegend fahren. Auf den alten Gleisen stehen noch einige Güterwaggons und eine alte Lokomotive. In die Holzgebäude rund um Bahnhof, Güterbahnhof und Ausbesserungswerk sind Kunsthandwerker und ein Café eingezogen. Die Gleise sind teilweise mit Gras überwachsen, die Weichen rosten vor sich hin. Schade eigentlich.

 

Endlich in der finnischen Hauptstadt

5.-7.9. Drei Tage sind wir mit Metro, Tram, Bus und zu Fuß durch Helsinki gestreift – bei schönstem Sonnenschein, weshalb wir auf den Besuch großer Museen verzichtet haben. Dafür waren wir bei den großen Ostseefähren im Hafen und bei den Eisbrechern, die unterhalb des Außenministeriums übern Sommer vertäut sind. Auch die Fährfahrt zur Festungsinsel Suomenlinna/Sveaborg (die Finnen nennen sie „Finnenburg“, die Schweden „Schwedenburg“) haben wir sehr genossen.

 

Entlang der Esplanade treffen sich die Reichen und Schönen, etwa im Luxushotel Kämp, in dem einst Sibelius mit seinen Freunden gezecht hat. Hier liegen auch die Geschäfte der internationalen Nobelmarken, nicht weit die großen Kaufpaläste, wie etwa Stockmann oder Kamppi. Die zweigeschossige Markthalle im Stadtteil Hakaniemi bietet neben Lebensmitteln auch Designerware: unten werden Fisch, Fleisch und Backwaren, oben Mode von Marimakko, Glaskunst von Iitala, Souvenirs und Tinnef angeboten; Obst und Gemüse gibt’s auf dem Marktplatz im Freien.

 

Kirchliche Pracht und schlichte Schönheit

Über dem Senatsplatz erhebt sich der lutherische Dom von Helsinki (1830): Außen klassizistisch und kuppel-bekrönt, innen dominiert schlichtes weiß mit monumentalen Statuen der drei Reformatoren Martin Luther (Wittenberg), Philipp Melanchthon (Bretten) und Mikael Agricola (Perjana). Anders die Uspenski-Kathedrale (1868), die größte orthodoxe Kirche Westeuropas: Das rote Backsteingebäude mit den 13 goldenen Kuppeln präsentiert im Inneren eine reich verzierte Ikonostase. Die Felsenkirche (1969) wiederum wurde nicht auf einem Felsen erbaut, sondern in den Granithügel hineingesprengt – monumental, wuchtig, im unverkleideten Fels und gedeckt mit Holz und einem Lichtband aus Glas und Betonstreben.

 

Die Pfeiler der weltlichen Macht

Vom Marktplatz aus haben wir einen guten Blick auf die politischen Machtzentren: links erfreut das himmelblaue städtische Rathaus das Auge, neben der schwedischen Botschaft folgt rechts der gelbe Präsidentenpalast. Regierungssitz ist das frühere Senatsgebäude am Senatsplatz; das dortige Bronze-Denkmal zeigt Alexander II, der als Großfürst von Finnland die finnische Selbstverwaltung unterstützt und 1864 den Ständetag einberufen hat. Für die nichtadeligen Stände Klerus, Bürger und Bauern wurde 1891 das Ständehaus errichtet, das heute als Staatskanzlei dient. Auf der Treppe des früheren Ständehauses haben wir (vermutlich) finnische PolitikerInnen nebst Beratungsteam gesehen.

 

Entlang der Mannerheim-Straße

Wir starten unseren Spaziergang am Bahnhof, einem der Wahrzeichen von Helsinki. Das eindrucksvolle Granitgebäude mit dem hohen Bahnhofsturm im späten Jugendstil ist ein Werk des Architekten Eliel Saarinen. Die vier markanten Lampenträger am Eingangsportal wurden von Emil Wikström entworfen. Eingeweiht wurde der Bahnhof mit Kopf 1919. Im Inneren bewundern wir die hohen Jugendstilhallen und die filigranen, gläsernen Dächer über den 16 Gleisen. Dass der Personen- und Warenverkehr mit Russland floriert, sehen wir an den blank-gefahrenen Gleisen in Breitspur.

 

Kunst und Kultur begleiten die Mannerheimintie Richtung Norden: Das Museum für zeitgenössische Kunst „Kiasma“ beeindruckt mit seiner geschwungenen Form. Das Glas-Stahl-Ensemble „Sanomatalo“ der größten finnischen Tageszeitung nebenan präsentiert die aktuellen Welt-Presse-Fotos. Die Musikhalle gegenüber ist die Heimat des Philharmonischen Orchesters Helsinki und der Sibelius-Akademie. In der Finlandia-Halle fand 1973-1975 die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) statt; die Carrara-Marmor-Fassade allerdings muss spätestens nach 25 Jahren ausgetauscht werden - Architekt Alvar Aalto hat den finnischen Winter wohl falsch eingeschätzt …

 

Auf der gegenüberliegenden Seite können wir die Konturen des wuchtigen Reichstags nur erahnen; das Parlamentsgebäude wird derzeit saniert. Ein Stück weiter ragt das im Jugendstil erbaute Finnische Nationalmuseum - einer Kirche nicht unähnlich - in den Himmel. Nördlich der Finlandia-Halle bietet die Finnische Nationaloper seit 1993 mehrere Bühnen für Ballett- und Gesangsaufführungen; der Große Saal soll zu den schönsten Opernsälen der Welt zählen. Etwas älter und grundlegend sanierungsbedürftig ist das Sportstadion, in dem 1952 die Olympischen Spiele stattfanden; erst in drei Jahren wird es wieder für Wettkämpfe geöffnet.

 

Große Kunst und kleine Kunst

Per Zufall landen wir zum Mittagessen im Cafe des alten Theaters, in dem heute Abend das dreitägige Komedie-Festival eröffnet wird. Gleich nebenan tobt die Kunst auf dem Pflaster: Das monumentale Denkmal der Schmiede ist zeitgenössisch umhüllt. Nicht gehäkelt, sondern gewebt sind die Baumhüllen im Esplanadepark. 1908 war Havis Amanda, das hüllenlose Mädchen mit den wasserspeienden Seelöwen, ein Skandal; heute ist sie Mittelpunkt zahlreicher Feierlichkeiten in Helsinki und bekommt am 1. Mai eine Studentenmütze aufgesetzt.

 

Wieder im finnischen Glasreich

3.9. Das Industriestädtchen Riihimäki verdankt seine Entstehung dem Bau der Eisenbahnstrecke von Helsinki nach Hämeenlinna. Zudem führt seit 1870 von hier eine Bahntrasse über Lahti weiter nach Sankt Petersburg. Der Knotenpunkt der beiden Eisenbahnstrecken war schon immer ein guter Platz für  Reparaturen an Fahrzeugen und Trassen, sodass dem Bahnhof ein großes Ausbesserungswerk zur Seite gebaut wurde. Heute war viel Betrieb rund um die roten Backsteingebäude. Und auch die 16 Gleise des Bahnhofs waren gut frequentiert.

 

Das Glasmuseum in Riihimäki präsentiert in einer ehemaligen Glasbläserwerkstatt die Geschichte des finnischen Glases – von den ersten mundgeblasenen Flaschen aus dem 18. Jahrhundert bis zu den großartigen Glasobjekten zeitgenössischer KünstlerInnen. Wir bewundern einmal mehr die Meisterwerke von Alvar und Aino Aalto, Kaj Franck, Timo Sarpaneva, Tapio Wirkkala und anderen. Finnisches Design beim Gebrauchsglas hat unser junges Erwachsenenleben in den 1970er-/1980er-Jahren bereichert – freilich nicht als Originale der Künstler, sondern als Plagiate von Ikea.

 

In der nordischen Ski-Metropole Lahti

2.9. Obwohl wir wussten, dass Lahti am eiszeitlichen Höhenzug Salpausselkä liegt, der die finnische Seenplatte nach Süden abdichtet, hätten wir nicht gedacht, dass die Stadt so bergig ist: Das Rathaus von Eliel Saarinen, ein Jugendstil-Ziegelgebäude mit hohem Turm von 1912, erhebt sich auf dem höchsten Hügel der Stadt. Rund einen Kilometer entfernt, auf einer etwas niedrigeren Anhöhe, grüßt die Kreuzkirche, die nach den Plänen von Alvar Aalto posthum von seiner Frau Aina 1978 fertiggestellt wurde. Dazwischen im Tal liegt der große Marktplatz, auf dem Obst und Gemüse, Blumen und Klamotten an Ständen feilgeboten werden. Einen Kilometer weiter erfreut uns der „größte Springbrunnen Skandinaviens“, dessen Wasserfontänen sich um 13 Uhr und um 18 Uhr, angestrahlt und im Rhythmus verschiedener Musikstücke, leise plätschernd oder mächtig brausend, in den Teich ergießen.

 

Lahti hat viele Museen und Galerien, eine reiche Musik- und Theaterszene. Ein besonderer architektonischer – und vielleicht auch akustischer – Leckerbissen ist die Sibelius-Halle. Die Architekten Hannu Tikka und Kimmo Lintulla haben die Backsteinreste einer Möbelfabrik in ein spektakuläres Ensemble aus Holz und Glas integriert, in dem 1300 ZuhörerInnen die Konzerte der weltberühmten Lahti-Philharmonie und namhafter Gastorchester genießen können. Der Akustik-Experte Russel Johnson hat mit beweglichen Türen und Kunststoffsegeln dafür gesorgt, dass auf allen Plätzen ein exzellentes Klangerlebnis möglich ist – wir konnten’s leider nicht testen.

Noch gut 170 Tage fiebert Lahti der nordischen Ski-Weltmeisterschaft entgegen, die am 22.2.2017 beginnt. Auch ohne Schnee sind die drei Ski-Sprungschanzen des Sportzentrums überaus imposant: Weithin sichtbar sind die mächtige Beton-Großschanze und ihre beiden Stahl-Schanzen-Nachbarinnen. Angesichts der enormen Schanzenhöhen erscheint uns der Auslauf der SkispringerInnen geradezu winzig. Start und Ziel für die Langlaufwettbewerbe ist im benachbarten Stadion, das über mächtige Tunnel- und Brückenkonstruktionen erreichbar ist. Das 150 km-Loipennetz wird im Sommer zum Radeln und Wandern genutzt.

 

Die Getreideernte startet Anfang September

Eine neue Reise